Mobilität
der Zukunft!
Warum Fahrrad
fahren?
Das Entwicklungspotential
des Fahrrads in der Stadt übersteigt mit großer Wahrscheinlichkeit
die aufgrund der derzeitigen Lage prognostizierte Dimension. Tägliches
Radfahren gehört zwar noch nicht zu den Gewohnheiten der Mitbürger,
doch ist das Radfahren eine Verkehrsart, die in der Bewältigung
der künftigen Mobilität eine erhebliche Rolle zu spielen verspricht.
Kann Das Fahrrad kann zum Erreichen Ihrer Ziele beitragen und die Lebensqualität
in der Stadt verbessern.
Vorteile für
die Allgemeinheit
Eine erschöpfende
Liste der angenommenen oder bewiesenen Vorteile des Fahrrads läßt
sich nicht erstellen. Die Vorteile sind verschiedener Art:
wirtschaftlicher Nutzen; so verringern sich beispielsweise der Anteil
des Familieneinkommens, der für das Auto ausgegeben wird, und die
Arbeitsstunden, die in Staus verlorengehen aufgrund der regelmäßigen
körperlichen Betätigung ist der Aufwand für die Erhaltung
der Gesundheit geringer;
politischer Nutzen; die Abhängigkeit von der Energiezufuhr nimmt
ab, nicht erneuerbare Energiequellen werden geschont;
sozialer Nutzen; beispielsweise wird die Mobilität demokratischer,
Jugendliche und ältere Leute gewinnen an Eigenständigkeit
und können die städtischen Einrichtungen besser erreichen,
ökologischer Nutzen; zu unterscheiden ist zwischen kurzfristigen
lokalen Auswirkungen (Stichwort "Umwelt") und langfristigen,
nicht lokalisierbaren Folgen (Stichwort "ökologisches Gleichgewicht").
Die Schwierigkeit
besteht darin, die Vorteile des Fahrrads für die Allgemeinheit
(zumal die wirtschaftlichen und ökologischen) zu quantifizieren,
denn hier spielen vielfältige und komplexe Faktoren eine Rolle,
für die zum Teil zuverlässige Methoden fehlen, um die durch
das Fahrrad bewirkten Kostenersparnisse berechnen zu können.
Vorteile für
die Unternehmen
Es unterliegt keinem
Zweifel, daß Verkehrsstaus den Unternehmen schaden. Verstopfte
Straßen erschweren ihren Lieferanten und ihren Besuchern die Anfahrt.
Wegen des Zeitverlustes der Auslieferer ihrer Waren und vor allem ihrer
Beschäftigten bringen sie aber auch große Kosten für
sie mit sich. Der britische Industrieverband CBI hat errechnet, daß
die Verkehrsüberlastung im Großraum London jährlich
Produktionsausfälle und Zeitverluste im Wert von 10 Mrd. EUR verursacht.
Da nun Radfahrer körperlich und auch geistig in besserer Form sind
als andere, erfreuen sich Unternehmen, deren Beschäftigte mit dem
Fahrrad kommen, einer höheren Produktivität. Eine Stadt, die
den Bedürfnissen der Radfahrer bei ihrer Verkehrsplanung gebührende
Beachtung schenkt, kann alle diese Vorzüge geltend machen.
Ein internationales Unternehmen wie NOVARTIS wirbt bei seinen Beschäftigten
seit 25 Jahren für das Fahrrad (siehe Tabelle 1.5). Die dabei eingesetzten
Mittel entsprechen dem Nutzen, der sich für das Unternehmen ergibt,
wenn die Belegschaft mit dem Fahrrad kommt. So stiftete es 1989 rund
400 Beschäftigten, die auf ihren reservierten Firmenparkplatz verzichteten,
ein neues Fahrrad. Jedes Jahr führt das Unternehmen Fahrradtage
mit Radtouren, Informationsveranstaltungen und Fahrradreparaturkursen
durch. Die Vorzüge sind NOVARTIS wohlbekannt: weniger Stellplätze,
keine verstopften Straßen in der Umgebung des Werks, ein besseres
Image bei Anliegern und Behörden, mobilere Beschäftigte, die
wegen ihrer besseren Form auch seltener krankheitsbedingt fehlen.
Fahrrad und Handel
Das Verhältnis
"lebender Handel =Zugang für Autos" kann bei weitem nicht
nachgewiesen werden. Der Beitrag der Kunden, die mit öffentlichen
Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder zu Fuß ankommen, wird großenteils
unterschätzt. Darüber hinaus unterschätzt man die negative
Auswirkung der Ansiedlung großer Vertriebsbetriebe und der Tausende
von Parkplätzen in den Randgebieten auf unsere Städte und
die städtische Umwelt.
Eine im westfälischen Münster erstellte Studie förderte
viel Unbekanntes zutage. Ihr Gegenstand war das Kaufverhalten in drei
Supermärkten, deren Warenangebot für den großen Einkauf
einmal pro Woche oder alle zwei Wochen ausreicht, und einem Warenhaus
mit weiteren Abteilungen (Kleider, Boutiquenwaren, Luxusartikel usw.).
Autofahrer
sind keine besseren Kunden als Radfahrer, Fußgänger oder
Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel. In manchen Geschäften
sind Radfahrer die besseren Kunden. Sie kaufen zwar weniger auf einmal,
kommen dafür aber öfter ins Geschäft (durchschnittlich
elfmal im Monat, während Autofahrer durchschnittlich siebenmal
kommen) und ... setzen sich damit öfter der Versuchung aus.
Unter
den Kunden der Läden im Stadtgebiet sind die Autofahrer in der
Minderheit [zwischen 25 % (unter der Woche) und 40 % (samstags) der
Kundschaft].
Knapp
25 % der Autofahrer (und 17 % der Radfahrer) verlassen ein Geschäft
mit zwei Warentüten oder mehr. Drei Viertel der Autofahrer haben
also keine Lasten, die so schwer sind, daß sie deshalb kein anderes
Verkehrsmittel benutzen könnten.
In Anbetracht
der Entfernungen, der nach dem Einkaufen angesteuerten Ziele und der
gekauften Warenmenge kommen die Autoren der Studie zu dem Schluß,
daß die Mehrheit der Autofahrer bei ihren Einkäufen durchaus
auf ihren Wagen verzichten könnte.
Es muß noch
hervorgehoben werden, daß der Erfolg der Geschäfte von der
Qualität ihrer Umgebung abhängt. So stellte man in Berlin
fest, daß sich der Fußgänger und Fahrradverkehr innerhalb
der Stadtviertel stark belebte, nachdem außerhalb der großen
Durchgangsstraßen eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf
30 km/h eingeführt worden war. Die Fahrten zwischen Wohnung und
Geschäften nahmen zuweilen um bis zu 40 % zu.
Ähnliche Ergebnisse
erbrachte eine Umfrage in Straßburg. Dort stieg der Zustrom von
Kunden in den Geschäften der Innenstadt bei unveränderter
Ladenfläche um mehr als 30 %, nachdem Fußgängerzonen
eingerichtet und die Straßen für den Durchgangsverkehr gesperrt
worden waren.
In Bern wurde durch eine Befragung von 1 200 Verbrauchern ermittelt,
wie sich im Jahresdurchschnitt der Wert der Einkäufe zu der von
jedem Kunden beanspruchten Parkfläche verhält.
Ergebnis: Bei den Radfahrern ist das Verhältnis "Rentabilität
/ Parkfläche" am günstigsten 7 500 € pro m2. Die
Autofahrer folgen mit 6 625 € pro m².
Welch ein Widerspruch, denn Radfahrer haben keinen Kofferraum, um ihre
Einkäufe unterzubringen, und sind infolgedessen gezwungen, die
Einkaufsmengen zu verringern.
Vorteile für
die Kommunen
Was die Städte
anbelangt, so bringt das Fahrrad vor allem Vorteile für die Lebens
und Umweltqualität sowie langfristige Kostenersparnisse mit sich:
Da weniger Autos unterwegs sind, wird das Verkehrsnetz unmittelbar entlastet
(wenn Pendler vom Auto auf das Fahrrad umsteigen); indirekt wird das
Verkehrsnetz entlastet, wenn die öffentlichen Verkehrsmittel, die
das Mitnehmen des Fahrrads erlauben, für Pendler attraktiver werden
(und sich so die Investitionen in die öffentlichen Verkehrsmittel
besser auszahlen); der unvermeidbare Verkehr wird flüssiger und
verschmutzt die Luft in geringerem Maße;
es wird Platz gespart (Straßen und Parkplätze), und die Kommunen
müssen weniger in das Straßennetz investieren; mit den so
eingesparten Mitteln können sie den öffentlichen Raum in der
Stadtmitte (für Wohnungen und Geschäfte, Kultur und Freizeiteinrichtungen)
attraktiver machen; sowohl für die Betriebe (Parkplätze) als
auch für die öffentliche Hand (Parkplätze, Unterhaltung,
neue Infrastrukturen usw.) fallen weniger verkehrsbedingte Kosten an;
die Stadt gewinnt ganz allgemein an Lebensqualität (weniger Luftverschmutzung,
Lärm, mehr öffentlicher Raum, mehr Sicherheit für die
Kinder); die Innenstadt wird zumal für Familien als Wohnort attraktiver;
die historischen Baudenkmäler verfallen nicht so rasch, ihr Unterhalt
(beispielsweise die regelmäßige Reinigung) verschlingt nicht
so viele Mittel.
Auch wenn man sich
strikt auf den ökologischen Aspekt des Themas (Verschmutzung) beschränkt,
um nicht gezwungen zu sein, den wirtschaftlichen Gegenwert der Vorteile
und Nachteile jedes einzelnen Verkehrsmittels genau zu beziffern, ist
es sinnvoll, dem Fahrrad die Beachtung und die Mittel zukommen zu lassen,
die es verdient (siehe Tabelle 1.1). Die Rede vom Ausgleich der Vor
und Nachteile der verschiedenen Verkehrsmittel kann nur so gemeint sein.
Vorteile für
die einzelnen Bürger und den Privatsektor
Keine Diskriminierung
grundsätzlich richtiger Verhaltensweisen.
Eine vernünftig
handelnde Verwaltung muß sich zumindest darum bemühen, die
Menschen nicht abzuschrecken, ein sinnvolles Verkehrs-mittel anstelle
eines anderen zu benutzen. Es ist daher ganz normal, daß das Fahrrad
in der Stadt neben dem Auto und den öffentlichen Verkehrsmitteln
Berücksichtigung findet. Für das Fahrrad muß die öffentliche
Hand im Verhältnis mindestens genau so viel tun wie für die
anderen Verkehrsmittel, wobei das Potential jedes Verkehrsmittels und
die Kosten der dafür notwendigen Einrichtungen als Maßstab
dienen können. Wenn beispielsweise 1 % aller Fahrten mit dem Fahrrad
getätigt würden, wäre es folgerichtig, ihm 1 % aller
für die öffentlichen Verkehrsmittel und die Straßeninfrastruktur
verfügbaren Mittel zu widmen. Damit hätte die Benachteiligung
eines Verkehrsmittels, das weniger stiefmütterlich behandelt mehr
Anhänger fände, ein Ende.
Die Ergebnisse der
bereits erwähnten Euro-barometer-Erhebung aus dem Jahre 1991 werden
bestätigt durch eine Umfrage aus dem Jahre 1996 unter den Bewohnern
französischer Städte, die kein Fahrrad besitzen. Die Resultate
dieser Umfrage sind sehr ermutigend. Von den 54 % der Befragten, die
ein Auto benutzen, gab nur ein Drittel an, sie hielten dieses für
ein ideales Verkehrsmittel. Diese Zahl zeigt, daß viele gerne
auf das Auto verzichten würden, sobald die entsprechenden Voraussetzungen
dafür erfüllt sind.
Nach Ansicht des
Generalsekretärs des französischen Fahrradherstel-lerverbandes
ist ein Anteil des Fahrrads von 14 17 % an allen Fahrten als Ziel durchaus
realistisch (ausgehend von einem Landesdurchschnitt des Anteils des
Fahrrads am Stadtverkehr von rund 2 %).
Erhebungen dieser
Art sind noch selten. Aber es gibt auch andere Indikatoren für
die Popularität des Fahrrads in Europa: die Zahl der in den verschiedenen
europäischen Ländern jährlich mit dem Fahrrad zurückgelegten
Kilometer, die Verkaufsziffern und die Fahrradbestände. Diese Tabellen
belegen auch, daß das Fahrrad keineswegs ein so ungebräuchliches
Verkehrsmittel ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Vergleicht
man die europäischen Länder untereinander und berücksichtigt
die vielen Fahrräder, die vielleicht nur auf eine regelmäßige
Inanspruchnahme warten, läßt sich aus diesen Ziffern auch
das bisher ungenutzte Potential ablesen.
Andererseits darf
nicht übersehen werden, daß bei den Bemühungen, die
schädlichen Folgen des Autos für die Stadt zu verringern,
Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel natürliche Verbündete
sind. So muß man nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit beider
Verkehrsmittel erhöhen, sondern sie auch besser aufeinander abstimmen.
Das heißt insbesondere, daß die Fahrräder an den Haltestellen
der öffentlichen Verkehrsmittel sicher abgestellt und in den Verkehrsmitteln
mitgenommen werden können.
Bausteine für die Radverkehrsförderung
Infrastruktur
Eine Infrastruktur,
die aufbauend auf einer Netzplanung direkte und komfortable Fahrten
mit dem Rad ermöglicht, in einer sicheren und als sicher empfundenen
Verkehrsumgebung, ist die Basis einer wirkungsvollen Förderung
des Radverkehrs oder im übertragenen Sinne als "zentrale Hardware"
anzusehen. Neben den Elementen der Radverkehrsführung, wie sie
z.B. in den Regelwerken der Forschungsgesellschaft für Straßen
und Verkehrswesen aufgezeigt werden und in der StVO Berücksichtigung
finden, gehören dazu u.a. bequem nutzbare und wirksam vor Diebstahl
und Vandalismus schützende Fahrrad-Parkanlagen an der Quelle (Wohnung)
und am Ziel, Elemente der Verknüpfung der Fahrradnutzung mit dem
ÖPNV und eine Wegweisung, die Radfahrer auf möglichst verkehrsarmen
Routen führt.
Service und Dienstleistungen
Der Servicebereich
umfasst vielfältige Dienstleistungsangebote, die das Radfahren
attraktiv machen, z.B. Fahrradstationen, einen schnellen Reparaturservice,
Fahrradwaschanlagen oder die Möglichkeit zur Gepäckaufbewahrung
im Stadtzentrum. Vielfach können diese Serviceangebote von der
öffentlichen Hand angeregt und initiiert, dann aber überwiegend
auf privatwirtschaftlicher Basis betrieben werden.
Öffentlichkeitsarbeit und Marketing
Die Öffentlichkeitsarbeit
wirbt für die Fahrradnutzung und wirkt auf Verhaltensänderungen
bezüglich der Verkehrsmittelwahl ein. Sie soll ein fahrradfreundliches
Klima sicherstellen und begleitet darüber hinaus durch Information
die Realisierung der verschiedenen Komponenten eines Radverkehrskonzeptes.
Durch Öffentlichkeitsarbeit kann das Image und der soziale Status
des Radfahrens aufgewertet werden. Dies ist für eine Verhaltensänderung
wie den angestrebten Umstieg vom Pkw auf das Fahrrad von großer
Bedeutung, da die Art der Befriedigung der eigenen Mobilitätsbedürfnisse
auch durch den Prestigewert des Verkehrsmittels beeinflusst wird und
nur bedingt rational begründet ist. Professionell geplante und
durchgeführte Öffentlichkeitsarbeit ist somit von großer
strategischer Bedeutung.
Zielgruppen
Wichtige Elemente
der Radverkehrsförderung im Alltagsverkehr sind zielgruppenorientiert
und erfordern eine spezielle Ansprache, die den Akteuren die speziellen
Vorteile oder positiven Effekte des Radfahrens oder der Radverkehrsförderung
aufzeigen.
Berufsverkehr
Betriebe und Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
bei der Nutzung des Rades als Verkehrsmittel für den Arbeitsweg
unterstützen, profitieren davon in mehrfacher Hinsicht. Diese Beschäftigten
fehlen in der Regel seltener krankheitsbedingt und sind leistungsfähiger.
Außerdem müssen weniger Kosten für Beschäftigtenparkplätze
aufgewendet werden. Beschäftigte, die mit dem Rad zur Arbeit fahren,
müssen oftmals weniger Zeit aufwenden als Autofahrer (Vermeidung
von Staus und Parksuchverkehr). Gewerkschaften bzw. betriebliche Vertretungen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können Zuschüsse oder
andere Leistungen für das "Dienstfahrrad" als Forderung
in Tarifverhandlungen aufnehmen (in Analogie zum "Job Ticket"
Einkaufsverkehr
Radfahrerinnen und Radfahrer werden als Kunden vom Einzelhandel oft
unterschätzt, da sie pro Einkauf meist etwas weniger Geld ausgeben
als Kunden, die mit dem Pkw kommen. Berücksichtigt man jedoch,
dass Radfahrer häufiger kommen und Geschäfte in ihrer näheren
Umgebung vorziehen, dann sind sie gerade für den örtlichen
Handel eine lohnende Kundengruppe, die der Einzelhandel durch zahlreiche
Serviceangebote binden kann. Hilfreich wäre die Erarbeitung einer
Handreichung unter der Überschrift "Warum Radfahrer gute Kunden
sind - Argumente von A bis Z".
Ausbildungsverkehr
Die gezielte Förderung des Rades als Verkehrsmittel für den
Weg zur Schule erfordert eine bessere Fahrrad Erreichbarkeit von Schulen
und aus Sicherheitsaspekten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen im schulischen
Umfeld. Hiervon profitieren alle Beteiligten:
Das eigenständige Bewältigen des Schulweges fördert die
Selbstständigkeit und das örtliche Orientierungsvermögen
und unterstützt damit wichtige Bildungsziele. Die tägliche
Fahrt mit dem Fahrrad erfordert deshalb neben sicheren Verkehrswegen
auf dem Schulweg eine praxisorientierte Verkehrserziehung als Element
einer umfassenden Mobilitätserziehung. Wenn Kinder mit dem Rad
zur Schule fahren, können dadurch Eltern von Fahrdiensten entlastet
werden.
In einer Zeit, in der viele Kinder aufgrund von Bewegungsmangel motorische
Defizite und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen aufweisen,
stellt das Radfahren eine ausgezeichnete Möglichkeit für mehr
Bewegung im Sinne einer Gesundheitsvorsorge dar und fördert zusätzlich
die Konzentrationsfähigkeit der Schüler im Unterricht. Die
körperliche Bewegung vor und nach der Schule kann außerdem
dazu dienen, aufgestaute Aggressionen aus dem Schulalltag abzubauen.
Kampagnen für
den Kopf
Drei Beispiele
aus der fahrradfreundlichen Stadt Marl
Marl, am nördlichen
Rand des Ruhrgebietes gelegen, ist eine junge Stadt. Erst um 1900 begann
eine nennenswerte Entwicklung, eingeleitet durch den schnell um sich
greifenden Bergbau. 1938 erfolgte ein zweiter großer Schub durch
die Ansiedlung der Großchemie - heute als Degussa-Hüls weit
bekannt. Die Stadt ist schnell gewachsen und hat heute etwa 93.000 Einwohner.
Die Förderung
des Fahrradverkehrs ist in Marl ein wesentlicher Bestandteil auf dem
Weg zum stadtverträglichen Verkehr. Der Fahrradverkehrsanteil beträgt
etwa 25 %, das heißt, dass die Marler Bürgerinnen und Bürger
ein Viertel aller Wege mit dem Fahrrad zurücklegen. Dieses ist
nicht allein mit dem Bau oder der Markierung von Radwegen zu erreichen.
Der Schwerpunkt der Marler Fahrrad-Aktivitäten liegt in der Öffentlichkeitsarbeit,
denn wir sind der Meinung: "Fahrrad fahren fängt im Kopf an!"
Der Marler Ampelgriff
Jeder Radfahrer
kennt es, jeder Radfahrer macht es - er hält sich an den Ampelmasten
der Kreuzungen fest, um nicht vom Fahrrad absteigen zu müssen,
wenn er bei Rot warten muss. Doch für den Radfahrer ist der Mast
meist kalt, nass und unbequem. Hier schafft der Marler Ampelgriff Abhilfe
- 30 cm hohe Haltegriffe ermöglichen Kindern und Erwachsenen den
Halt an der Ampel ohne abzusteigen.
In der Zwischenzeit
hat der Ampelgriff seine Testphase überstanden. Der Griff hält
und wird benutzt - etwa 70 % aller Radfahrerinnen und Radfahrer nutzen
den Griff beim Halt an der Ampel. Über "Ampelgriff-Aktien"
können Bürgerinnen und Bürger sich "ihren"
Ampelgriff sichern und so ihren Beitrag zur fahrradfreundlichen Stadt
leisten. Bereits über 100 Ampelgriffe sorgen für etwas mehr
Komfort beim Fahrrad fahren in Marl.
Das Marler Damenrad
- Gleichberechtigung auch auf Radwegen
Damit der Verkehr
an einer Tankstellenausfahrt sicherer wird, sollte der Radweg vor der
Ein- und Ausfahrt neu markiert werden. Vorgesehen war, den Radweg rot
einzufärben und das Piktogramm 'Fahrrad' aufzutragen. Dabei wurde
die Idee geboren, im Piktogramm das 'Oberrohr' (Querstange) des Herrenrades
abzudecken, so das ein Damenfahrrad entsteht. Dieser Gedanken wurde
von den Marler Bürgerinnen und Bürgern so wohlwollend aufgenommen,
dass von da an jedes zweite Fahrradpiktogramm ein Damenrad wurde. dpa
und ap machten Presse, Funk und Fernsehen auf den 'kleinen Unterschied'
auf Marler Radwegen aufmerksam. Wochenlang konnte man im deutschen Zeitungsblätterwald
Überschriften wie diese lesen: "Emanzipation auf Radwegen",
"Stadt Marl probt Gleichstellung auf Radwegen", "Quotenregelung
auch auf Radwegen" bis hin zu "The sex war has come to traffic
signs". Das vielbeachtete Marler Damenfahrrad dient als Werbeträger
und ist ein gelungenes Beispiel für die Kopplung von Funktion und
Marketing.
Das Fahrradbüro
der Stadt Marl
Seit Mai 1995 finden
Radfahrer an fünf Tagen in der Woche einen Ansprechpartner zu vielen
Fragen rund ums Radfahren. Mitarbeiter der Stadt Marl und sachkundige
Mitglieder des ADFC geben Tipps und Hinweise zur 'Fahrradfreundlichen
Stadt Marl', zu Fahrradtouren, Informationen über Fahrräder
und Zubehör. Man kann Literatur und Landkarten einsehen und kaufen
oder im Gespräch Hintergründe zur notwendigen Trendwende im
Verkehr erfahren. Das Fahrradbüro ist Ausgangspunkt für viele
Radtouren, in jede Richtung. Wer die Radtour Ruhr - den Fahrrad-Rundkurs
durch das Ruhrgebiet befährt, kommt automatisch am Fahrradbüro
vorbei und ist eingeladen, eine Info - Pause einzulegen. Hier gibt es
dann auch die Geschichten zum Marler Drahtesel, zu den Marler Fahrradtagen,
zum Marler-Radl-Markt, zur Tempo 30-Predigt ... denn "Fahrrad fahren
fängt im Kopf an!"
J. Dekoster, U. Schollaert: Fahrradfreundliche Städte: vorwärts
im Sattel; Europäische Gemeinschaften; 2000
Bundesministerium
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Nationaler Radverkehrsplan
2002-2012; Bericht der Bundesregierung; Berlin 2002
J. Göttsche:
Fahrrad fahren fängt im Kopf an; Demokratische Gemeinde, Heft 7,
2002